Als Kind schon wünschte ich mir einen eigenen Fotoapparat. Die schlechte Qualität der Aufnahmen, die mit dieser "Kinderkamera" nur möglich waren, ließ mein Interesse jedoch schnell wieder erlahmen. Später sparte ich dann auf eine Spiegelreflexkamera und ich erlernte noch während der Schulzeit, wie ich Filme entwickeln und Abzüge selbst herstellen konnte. In der Werbeagentur meines Vaters gab es ein Fotolabor mit einem netten Fotografen, der mir Einiges beibrachte, das war sehr praktisch. Noch heute gibt es aus dieser Zeit ein ganz passables Foto von Leonard Cohen, das ich im Circus Krone vom Bühnenrand aus aufnehmen durfte, weil ich für die Schülerzeitung über das Konzert berichten wollte.

 

Während meines Studiums folgte eine weitere, kleine Lehrzeit im Fotolabor der Kunstakademie.

In diese Zeit fallen auch meine Anfänge des künstlerisches Fotografierens, dem ich jedoch nie gezielt weiter nachging, sondern es eher lässig nebenbei betrieb, wenn es sich ergab. Das Fotografieren war bis zur Digitalisierung  auch eine teure Angelegenheit, wenn man wie ich keine Lust auf Dias hatte - und überhaupt wollte ich ja malen!

 

Über viele Jahre hinweg fotografierte ich deshalb vorwiegend zu dokumentarischen und archivarischen Zwecken. Meine Bilder und Auftragsarbeiten von früher sind alle noch mit der analogen Pentax fotografiert, ebenso die ersten Fotos, die ich während des Unterrichts aufzunehmen begann, nachdem ich 1999 meine Malschule gegründet hatte.

 

Seit vielen Jahren begleitet mich nun schon eine digitale Spiegelreflexkamera von Nikon. Damit fotografiere ich heute meine Bilder und auf Anfrage auch die von Kolleg:innen. Ich dokumentiere damit meine Unterrichtsarbeit und alles was in diesem Zusammenhang sinnvol erscheint und für mich und/oder meine Schüler:innen nützlich sein kann.

 

Auch bei dieser vorwiegend angewandten Art des Fotografierens - von mittlerweile sicher 10 - 20 Tausend Aufnahmen - war mir die fotografische Qualität immer wichtig. Und immer wieder stellte ich - nebenbei -  fest, daß viele meiner Fotos, z.B. auch die Portraits, die ich nebenbei aufnahm, von guter bis überduchschnittlich guter Qualität waren. Trotzdem war ich nie auf die Idee gekommen auch Fotos als Ausdruck meiner künstlerischen Sichtweise zu veröffentlichen.

 

Eigentlich sind mein Handy, Corona und die vielen Spaziergänge daran schuld, daß sich das gerade ändert. Günter, mein Lebensgefährte nicht zu vergessen, der schon lange und relativ viel fotografiert, wenn wir unterwegs sind. Ohne große Ausrüstung, einfach mit einer kleinen Digicam oder jetzt bevorzugt mit dem Handy. Mich selbst - spiegelreflexkamerafixiert wie ich nunmal war - interessierte diese Art des Fotografierens nicht ernsthaft. Sie beschränkte sich bis dato auf private Erinnerungs-/Urlaubsfotos.

 

Im Herbst 2020 fiel mir dann plötzlich auf, daß auch meine Aufmerksamkeit während des Gehens immer wieder eingefangen, ja von kleinen Situationen um mich herum geradezu gerufen wurde. Sensationelle kleine Momente, in denen eine Landschaft, ein Baum, der Himmels oder eine Pflanze - kurzum: meine Mitwelt - , in einer besonderen Qualität zu mir zu sprechen begann und mich zum genaueren Hinsehen einlud. Dabei war es oft ganz und gar nicht das perfekt Schöne, das mich anzog, im Gegenteil. Der Chemienobelpreisträger Roald Hoffmann hat es in einem Interview einmal so formuliert: "Schönheit ist die Freude am Lebendigen, am Unregelmäßigen." Es war jedes Mal die Art und Weise, wie das Licht eine Situation beleuchtete, die ich als "einfach und schön" wahrnahm.

 

So begann auch ich im Winter 2020/21 die Kamera meines Samsung-Handys etwas ernster unter die Lupe zu nehmen. Seither lote ich seine Möglichkeiten aus. Und so finde ich mich plötzlich in einer mir neuen-alten-eigenen Art der künstlerischen Fotografie wieder. Diese zeichnet sich nicht durch große technische Raffinessen aus und ist auch nicht zum Ausdrucken in großen Formaten gedacht, geschweige denn geeignet. Ich habe derzeit nicht vor, diese Fotos auszustellen. Ich sehe meine sehr gegenständlich orientierte Fotografie eher als Ergänzung zu meiner Malerei, die ja bevorzugt der Ungegenständlichkeit gewidmet ist. Ich fotografiere mit dem Blick einer Malerin auf die sie umgebende Welt und ich merke, wie sehr ich dieses Schauen genieße und wie sehr sich dabei auch jetzt noch mein Sehen weiterentwickelt. Das Staunen nimmt zu. Was kann es Schöneres geben?

 

Mittlerweile begeistert mich die Handyfotografie, weil sie so unauffällig ist. Sie hat so gar nichts Großartiges an sich. Wenn ich so fotografiere, bin ich quasi inkognito unterwegs, ich verschwinde in der Menge der anderen Handy-Benutzer.

Ich weiß von einem erfolgreichen, amerikanischen Fotografen, der angeblich nur noch mit seinem Handy fotografiert, natürlich mit einem besseren als dem meinen. Vielleicht hat er ja ganz ähnlich Gründe dafür - abgesehen davon, daß wir dabei auch nicht das Gewicht einer "richtigen Kamera" mit uns herumschleppen müssen und wir uns so unterwegs besser bewegen können.

 

Die Aufnahmen mit dem Handy  geschehen manchmal schnell und nebenbei, sodaß ich sie mir erst abends genau ansehe und beurteile, ob Schätze darin verborgen sind, oder nicht. Zum sanften Nachbearbeiten der Fotos nutze ich dann ebenfalls nur die eingeschränkten Möglichkeiten der Handytechnik. Das Nachbearbeiten ist wichtig, vorwiegend wegen der Ausschnitte, die ich meistens wähle, um die bildnerische Aussage einer Aufnahme zu verstärken. Damit beginnt für mich das Verfeinern der Bildkomposition. Wie in der Malerei geht es dabei um Fragen von Harmonie und Spannung, Ordnung und Chaos, um den Tanz der Energien von Farben und Formen, um Resonanz eben.

 

Ich zeige diese Fotos auf meiner Website und gerne auch in der Statusfunktion bei whatsapp. Das genügt mir vorerst.

 


© Susanne Hauenstein im März 2021